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Problematischer Fischkonsum Petri Unheil

Problematischer Fischkonsum Petri Unheil

19.03.2016 12:25

Von der raren Delikatesse hat sich der Lachs zur alltäglichen Massenware gewandelt.
Das hat seinen Preis.
Die massenhafte Zucht von Lachs hinterlässt hässliche Spuren - in der Umwelt und im Fleisch.


Artikel aus der Neuen Zürcher Zeitung

von Ronald Schenkel18.3.2016, 05:30 Uhr1 Kommentar






Lachszucht in einer Bucht unweit Puerto Montt, im Süden von Chile. Das lateinamerikanische Land ist der zweitgrösste Produzent von Atlantischem Lachs, nach Norwegen.



(Bild: Diego Giudice / Bloomberg)


Noch vor wenigen Generationen war Lachs eine kostspielige Delikatesse, die nur an ganz besonderen Anlässen auf den Tisch kam. Heute ist er so alltäglich wie das Pouletbrüstchen, jedoch zusätzlich gepriesen als Lieferant wertvoller Omega-3-Säuren. Dass Lachse in allen rosa Schattierungen und im Überfluss – als Filets, geräuchte Seite oder schnöde zu Würfeln zerhackt als Beigabe für eine schnelle Pasta – in unseren Supermärkten zu haben sind, ist nur aus einem Grund überhaupt möglich: weil sie gezüchtet werden. In riesigen Mengen. 2014 überstieg das Gewicht der weltweit gezüchteten Salmoniden, wozu auch Forellen gehören, die Zwei-Millionen-Tonnen-Grenze.
Der Fluch des Fischfutters

Doch was essen wir eigentlich, wenn wir Zuchtlachs essen? Diese Frage stellt sich regelmässig, wenn uns skandalträchtige News von der bunten Fischtheke erreichen. Kürzlich schreckte die Sendung «Kassensturz» des Schweizer Fernsehens mit der Nachricht auf, dass das Antioxidans Ethoxyquin und seine Abbauprodukte in Zuchtlachsen aus Norwegen teilweise in erheblichem Mass nachweisbar sind.

Als Pflanzenschutzmittel ist Ethoxyquin schon seit 2011 in der EU verboten, nicht aber als Futtermittelzusatz. Es verhindert, dass das Futtermittel ranzig wird. Es beugt aber auch der Selbstentzündung von Fischmehl während des Seetransports vor. Für Lebensmittel, die mit dem Pestizid in Berührung kommen könnten, hat die EU strenge Höchstwerte festgelegt; beim Fisch hingegen fehlen solche gänzlich.

Seit Jahren beschäftigt sich die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) mit einer Neubewertung von Ethoxyquin als Futterzusatz. Das letzte Mal nahm man im November einen Anlauf, konnte sich aber nicht zu einem Verbot durchringen. Dies, obgleich die Behörde mindestens ein Abbauprodukt von Ethoxyquin, Ethoxyquin-Chinonimin, als genotoxisch einstufte, es soll also die DNA schädigen können.
Was essen wir eigentlich, wenn wir Zuchtlachs essen?
Zum Beispiel Ethoxyquin: Das Pflanzenschutzmittel ist schon seit 2011 in der EU verboten, nicht aber als Futtermittelzusatz.


(Bild: Annick Ramp / NZZ)

Verschiedene Wissenschafter stehen dem Mittel weniger gelassen gegenüber. Ethoxyquin ist inzwischen im menschlichen Fettgewebe und gar in der Muttermilch nachgewiesen worden. Es könnte die Blut-Hirn-Schranke passieren. Trotzdem besteht für Anbieter von Zuchtlachs keine gesetzliche Notwendigkeit, kontaminierte Fische aus dem Sortiment zu nehmen. Für den Konsumenten wenig tröstlich: Andere Fischarten dürften die unappetitliche Substanz ebenso enthalten, wie eine Untersuchung der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit kürzlich gezeigt hat. Für die Futtermittelindustrie wiederum erfüllt Ethoxyquin seinen Zweck hervorragend und ist zudem kostengünstig.

Als Pflanzenschutzmittel ist Ethoxyquin in der EU verboten, nicht aber als Futtermittelzusatz.

Das Mittel kann einem den Lachsschmaus also richtig verderben. Es dürfte indes nicht die einzige unerwünschte Zutat sein. Hinzu kommen etliche Schadstoffe, welche die Meere und damit ihre Bewohner belasten und übers Fischfutter in den Zuchtlachs gelangen. Zwar betonen Wissenschafter, die im Auftrag des norwegischen Gesundheitsamts Zuchtlachs auf seine Verträglichkeit hin untersuchten, dass eine wöchentliche Verzehrmenge von 1,3 Kilogramm völlig unbedenklich sei. Die beiden Biologen Jérôme Ruzzin und Anders Goksøyr von der Universität Bergen würden das indes nicht unterschreiben. «Der enge Fokus der Lebensmittelbehörde auf Dioxine könnte uns zu den falschen Schlüssen verleiten», sagt Goksøyr. Der Biologe führt jedoch noch ein anderes Argument ins Feld: Selbst wenn einzelne Schadstoffe unter dem Grenzwert lägen, könnten sie in Kombination fatal sein. Er spricht von einem Cocktail-Effekt.
Ahnungslose Konsumenten

Dieser Schadstoff-Cocktail könnte insbesondere das Risiko für Diabetes 2 erhöhen, vermuten Ruzzin und Goksøyr. In einer Studie an Mäusen haben sie dies 2011 nachgewiesen, indem sie den Versuchstieren Lachs zu fressen gaben. Eine Gruppe bekam gewöhnlichen Zuchtlachs, wie man ihn im Supermarkt kaufen kann, aufgezogen mit konventionellem Fischfutter. Die andere Versuchspopulation wurde mit Lachsen gefüttert, die mit «entgiftetem» Fischfutter gefüttert worden waren. Das Resultat: Beide Gruppen entwickelten Symptome von Diabetes 2, diejenige, die den konventionellen Fisch verspeist hatte, jedoch deutlich stärker.
Der Schadstoff-Cocktail Im Lachs könnte das Risiko für Diabetes 2 erhöhen.


(Bild: Annick Ramp / NZZ)

Die Konsumenten lasse man bezüglich der Risiken in Unkenntnis, kritisieren Ruzzin und Goksøyr. Tatsächlich garantieren gewisse Labels wie etwa das ASC-Siegel keineswegs einen unbelasteten Lachs. ACS steht für Aquaculture Stewardship Council. Er wurde 2010 ins Leben gerufen, als Pendant zum Maritime Stewardship Council (MSC). Soll Letzterer für Fisch aus nachhaltiger Fischerei stehen, will der ASC nachhaltige Fischzucht garantieren. Inzwischen ist das Label auch bei Schweizer Grosshändlern angekommen.

Stefan Bergleiter vom deutschen Öko-Verband «Naturland» spricht von «Verbrauchertäuschung»; so verbiete der ASC-Standard den Einsatz von Chemikalien nicht – Grenzen zögen lediglich die nationalen Gesetze –, und er lasse genverändertes Futter zu. Billo Heinzpeter Studer, Co-Präsident der Tierschutzorganisation Fair-Fish, kritisiert das Label wiederum, weil es das Tierwohl ausser acht lasse. Zu wenig regle es überdies die Reduktion des Anteils von Fischmehl und -öl im Fischfutter.
Rückstände bei Bio-Fischen

Immerhin ist in den Standards zum Lachs nachzulesen, dass das Label die Verwendung von alternativen Fischfutterbestandteilen fördere. Das erscheint auf den ersten Blick löblich. Nicht zuletzt, weil weniger Fisch im Fischfutter auch weniger Schadstoffe im Zuchtlachs bedeutet. Die Industrie hat indes den Anteil von Fischmehl und -öl im Futter nicht zuletzt deswegen massiv reduziert, weil die Preise dafür in die Höhe schossen. Dies wiederum lag daran, dass die Bestände der Kleinfische schrumpften, die zu Mehl und Öl verarbeitet wurden.

Labels wie das ASC-Siegel garantieren keineswegs einen unbelasteten Lachs.

Dennoch werden jährlich über 20 Millionen Tonnen Kleinfische für den Zweck gefangen, zu Fischfutter verarbeitet zu werden. Solange also karnivore Arten nicht zu Vegetariern werden, trägt die boomende Fischzucht eher zur Belastung der Wildbestände bei, ganz abgesehen davon, dass freilebende Grossfische weniger zu fressen haben. Dass Lachse ganz ohne tierisches Protein auskommen, bezweifelt Christoph Sandrock vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl). Am Fibl experimentiert man deshalb mit Fliegenlarven, die den tierischen Anteil decken könnten. Stellt sich nur die Frage, wie die wichtigen Omega-3-Fettsäuren, welche bis jetzt das Fischöl beisteuert, ins Futter gelangen. Vielleicht, indem man auf die Quelle zurückgreift, aus der auch die Fische die Omega-3-Fettsäuren beziehen: Algen. Die Forschung arbeitet daran. Doch das ideale Futter ist noch in weiter Ferne.

Ein Kompromiss

Was also tun als Lachsliebhaber vor Karfreitag? Die zurzeit strengsten Vorschriften gelten für Bio-Zuchten. Was das Tierfutter dort angeht, so stammen die Fisch-Komponenten aus Resten der Speisefischverarbeitung. «Bei der Heringsverarbeitung zum Beispiel fallen 45 bis 60 Prozent Verarbeitungsreste an», sagt Stefan Holler, der sich bei «Naturland» mit Aquafuttermitteln beschäftigt. Bio-Fisch sollte eigentlich auch frei sein von chemischen Zusätzen wie Ethoxyquin. Sollte. Tatsächlich schliesst Holler nicht aus, dass synthetische Stoffe in Spuren auch in Bio-Fischen vorkommen können. Der Grund dafür ist einfach: Die meisten Aquafuttermühlen produzieren sowohl für den konventionellen wie für den Bio-Markt. Rückstände beim Wechsel der Produktion können deshalb nicht ausgeschlossen werden. Kein Lachs also ist ohne Restrisiko.


(Bild: Anja Lemcke)

Was der Fischesser wissen sollte

Rettet die Zucht den Wildfisch?

Jährlich werden über 90 Millionen Tonnen Fisch gefangen, über 66 Millionen Tonnen gezüchtet. Die Aquakulturen werden immer wieder als Retter der Wildbestände gepriesen. Der am Exzellenzcluster «Ozean der Zukunft» in Kiel lehrende Wirtschaftswissenschafter Martin F. Quaas bezweifelt dies. Seine Skepsis gründet auf einer Studie, die er zusammen mit einem interdisziplinären Forscherteam durchgeführt hat. Dabei wurde die Entwicklung von sechs atlantischen Wildfischarten und zwei Zuchtfischarten bis ins Jahr 2048 simuliert. Als wichtigster Faktor entpuppte sich die steigende Nachfrage. Sollten Aquakulturen tatsächlich den steigenden Bedarf auffangen, müssten sie jährlich um unrealistische 24 Prozent wachsen. Das Einzige, was den Zusammenbruch der Bestände aufhalten könne, sei ein verbessertes Fischereimanagement, sagt Quaas, was nichts anderes bedeutet, als dass die Fischerei zeitweise radikale eingeschränkt werden müsste.

Ist Lachszucht artgerecht?

Die am häufigsten gezüchtete Salmoniden-Art ist der Atlantische Lachs. 2 Millionen Tonnen kamen 2014 aus Zuchten, gegen eine Million aus Wildfang. Der Fisch wird bis zu eineinhalb Meter lang. Gegenüber anderen Zuchttieren gilt Lachs als ressourceneffizient. Pro 100 Kilogramm Futter produziert der Fisch mehr essbares Fleisch als Hühner oder Schweine. Lachse sind jedoch Wanderer und legen in freier Natur weite Strecken zurück. In Zuchten werden sie meist in Netzkäfigen gehalten, die nur das Schwimmen im Kreis erlauben. «Das grösste Fischwohlproblem bei der Lachszucht besteht im Einsperren einer Art, die viel mehr Bewegungsfreiheit braucht, als eine Fischfarm je bieten kann», sagt Billo Heinzpeter Studer von der Tierschutzorganisation Fair-Fish. rel.

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